Meine Eltern trennten sich, als ich vier Jahre alt war. Sie haben sich danach gestritten – ums Geld, ums Haus, um Alles. Vor allem aber um mich.
Auf Betreiben meiner Mutter wurde ich von meinem Vater entfremdet. Das weiß ich heute. Als Kind wusste ich, dass mein Vater schlecht war und meine Mutter gut. Ich dachte auch, dass meine Oma väterlicherseits nichts von mir wissen wollte, während die Eltern meiner Mutter mich jedes Wochenende verwöhnt haben.
Meine Mutter, ihre Schwester und ihre Freundinnen haben sich redlich Mühe gegeben, mir ein schönes Leben zu bereiten und mir klarzumachen, dass ich keinen Vater brauche. Ich selbst hätte gerne einen gehabt – meine Klassenkameraden hatten meistens einen, die Kinder der Bekannten meiner Mutter eher nicht. Meine Kindheit war geprägt von Reden über Gerichtsverhandlungen, Schimpfen auf die Richter, auf das Jugendamt usw. Keiner von denen hatte eine Ahnung, wie mein Vater wirklich war. Das war aber immer Thema in der Familie.
Ich fiel auf in der Schule: einmal war mein Vater angeblich ein Polizist, dann auf einem Militäreinsatz, später Journalist und dann Trainer der Fußballnationalmannschaft. Mein Vater war nichts von alledem. Aber er war mein Vater. Meine Sehnsüchte, meine Wut und meine Fragen haben wilde Blüten getrieben.
Mein Onkel hat mir dann geholfen, wieder Kontakt zu meinem Vater aufzunehmen. Davor hatte ich immer große Angst. Schließlich meinte ich zu wissen, dass er böse war und mit mir nichts mehr zu tun haben wollte.
Oder nicht?
Doch, er wollte! Wir haben uns erst heimlich getroffen und später, nach vielen Gesprächen, öffentlich. Da war meine Mutter sehr traurig. Zudem war ich in dieser Zeit ganz bestimmt nicht nett zu ihr. Ich habe erkannt, dass sie nahezu mein ganzes Leben über meinen Vater Lügen erzählt hat. Meine Mutter hatte mich meines Vaters und damit auch eines wichtigen Teils meiner Kindheit beraubt. Das, was ich aus „Rache“ mit ihr gemacht habe, möchte ich lieber selbst vergessen.
Viele Jahre, schon als Jugendlicher und sogar noch als Erwachsener habe ich darüber nachdenken müssen, wen ich einlade, wenn ich Konfirmation habe, wenn ich einen Sport-Pokal gewinne, wenn ich heirate, wenn ich selbst Kinder habe. Kommt meine Mutter, traut sich mein Vater nicht. Lade ich meinen Vater ein, kommt meine Mutter nicht. Lade ich beide ein … daran wollte ich lieber nicht denken. Ich war immer in einem Dilemma.
Wäre ich nicht so belastet gewesen und hätte ich die daraus resultierenden Mechanismen erkannt, wäre meine erste Ehe nicht nach kurzer Zeit geschieden worden. Heute bin ich zum zweiten Mal verheiratet, wir haben zwei Söhne und eine Tochter. Sie sind fast erwachsen und ausgestattet mit viel Liebe von Mutter und Vater, drei Omas und zwei Opas. Meine Tochter will sie alle zu ihrer Hochzeit einladen!
Die Entfremdung von meinem Vater hat mein Leben geprägt und große Teile davon zerstört. Verzeihen kann ich das meiner Mutter nicht. Gegenüber meinem Vater bleibt immer noch das schlechte Gewissen, auch wenn er mich das nie hat spüren lassen. Ich kann nur hoffen, dass meinen Kindern und Enkelkindern dieses Schicksal erspart bleibt!